Du kannst jede Beziehung nachverhandeln!

In manchen Beziehungen hat sich ein interessanter Pragmatismus eingeschlichen: „Jetzt, wo es schon zehn Jahre falsch lief, können wir ja ruhig so weitermachen!” Ja, Papa hat sich noch nie um den Haushalt gekümmert, höchstens ein bisschen „geholfen”. Dafür ist er der selbsterklärte Experte dafür, den Geschirrspüler auf die einzig korrekte Weise einzuräumen! Dagegen hat sich Mama schon immer finanziell auf ihn verlassen, die Kinder sowieso. Da muss er eben seinen verhassten Job noch ein bisschen weitermachen. Irgendwann wird ihr Etsy-Shop schon durchstarten, dann kann er auch einen Stellenwechsel riskieren.

Eine ähnlich fatalistische Einstellung beobachte ich auch immer wieder im Berufsleben: „Jetzt, wo ich sowieso schon über 40 bin, kommt es auf die paar Jahre bis zur Rente auch nicht mehr an – auch wenn mein Chef furchtbar ist!” Ein Freund erzählte mir, wie stressig und schlecht bezahlt sein aktueller Job sei. Dann aber: „Ich habe nur noch zwölf Jahre, bis meine Große das Abitur hat. Bis dahin ändere ich sowieso nichts!” Ich bewunderte seinen Optimismus, den Job bis dahin durchzuhalten, dachte aber auch: „Warum etwas immer weitermachen, das vom ersten Tag an nicht besonders gut funktioniert hat?”

Es muss nicht immer so weitergehen wie bisher

Gerade bei Paaren und Familien im wochenlangen Home Office bringt die Coronakrise in diesen Tagen nie gelöste Beziehungsfragen zutage. Einer fühlt sich einseitig belastet. Etwa mit der finanziellen Verantwortung, der Hausarbeit oder den Kindern. Der andere soll sich bitte mal nicht so anstellen. Grundlegende Fragen sind nie besprochen worden, etwa die Aufgabenteilung innerhalb der Beziehung. „Wir sind partnerschaftlich” war wohl doch zu wenig. Vieles wurde stillschweigend vorausgesetzt oder aus Konfliktangst nie angesprochen. Nun zeigt sich, dass man mit Illusionen gelebt hat. Oft auch: „Ich dachte, du wolltest das so!”

„Achte in Beziehungen früh auf eine ausgewogene Balance zwischen Geben und Nehmen, zwischen den Beiträgen und Wünschen beider Seiten”, heißt es in meinem Buch. „Falls diese Balance am Anfang noch nicht bestand oder sich später verschoben hat, ist es trotzdem immer möglich, sie wiederherzustellen.” Nur, weil etwas zehn Jahre auf eine bestimmte Weise gelaufen ist, muss das nicht ewig so weitergehen. Das gilt im Job ebenso wie im Privatleben: Du kannst nachverhandeln. Auch wenn du einmal zu etwas Ja gesagt hast, kann du später auch wieder Nein sagen, wenn es für dich nicht mehr passt.

Beziehungen entwickeln sich, und eine Krise ist oft der Anlass dafür. Das ist manchmal für alle Beteiligten nicht leicht und gerade jetzt eine Zusatzbelastung. Aber du kannst veränderte Wünsche und Bedürfnisse anmelden und zurück auf Start gehen. Nicht nörgeln, schimpfen, streiten oder still leiden. Sondern: Erwartungen und Wünsche klären, deutlich aussprechen und verhandeln. „Mir fehlt hier, dass…”, „Ich möchte zukünftig mehr…”, “Was hälst du davon, wenn wir…?” All das geht freundlich, liebevoll, aber klar und bestimmt. Belasse es nicht dabei, nur über deine Gefühle zu sprechen. Sag, was du willst!

Viele erleben bei derartigen Gesprächen eine Überraschung. Für den anderen hat es auch schon seit längerer Zeit nicht mehr gepasst. „Ging mir ähnlich”, heißt es da plötzlich. „Ich wollte nur nichts sagen. Ich dachte, du bist glücklich so, wie es ist.” Die meisten haben ja gar keine unverschämten, weit hergeholten Vorstellungen, sondern sehr nachvollziehbare und realistische Wünsche. Nicht selten hat der andere sie ähnlich schon selbst gehabt. Sei also mutig und sprich offen, wenn für dich in einer beruflichen und privaten Beziehung etwas nicht mehr paßt. Es kann sein, dass du damit gleich zwei Menschen glücklicher machst.