Ein bisschen schlechtes Gewissen ist erlaubt
Man müsste dringend mal ausschlafen. Aber da ist noch diese eine E-Mail an die Kollegen, die man Freitagnacht unbedingt noch schreiben will. Auch, wenn sie vor Montag sowieso niemand lesen wird. „Aber dann ist es wenigstens erledigt…” Generell wäre ein bisschen ausruhen schön. Aber da ist noch dieser Berg an Bügelwäsche wie eine stumme Anklage. Der Geschirrspüler müsste endlich ausgeräumt werden, denn in der Spüle stapelt sich schon das nächste Geschirr. An den bunt gemischten Stapel aus Unterlagen und Belegen, den man für die Steuererklärung aufgeschichtet hat, mag man überhaupt nicht denken.
Geht es dir auch manchmal so? Das Sprichwort, nach dem dein gutes Gewissen ein sanftes Ruhekissen sein soll, klingt oft wie ein schlechter Scherz. Theoretisch stimmt es schon, dass erst die Arbeit und dann das Vergnügen kommen sollte. Und für viele, etwa alleinerziehende Eltern oder alle mit Stress-Jobs, heißt Vergnügen oft schon: Einfach mal pünktlich ins Bett und ausschlafen. In Ruhe ein Buch lesen, ein bisschen Musik hören oder auf YouTube ein paar Lieblingsvideos durchschauen. Allein in der Badewanne liegen und dösen, ohne dass das heiß geliebte Kind von seinem Schultag erzählen und mitplantschen will.
Irgendwann sind 15 freie Minuten schon Luxus
Mit Mitte 20 glaubt man, Luxus bedeutet: Karibikreisen, Designerkleidung oder die gleiche Gold-Rolex, wie sie Eminem trägt. Mit Mitte 30 lernt man: Luxus ist, einfach mal 15 Minuten von allen in Ruhe gelassen zu werden! Keine E-Mail-Aufträge vom Chef. Kein heulendes Kind, das getröstet werden will. Kein Partner, der schon wieder die gleichen Jobprobleme erzählt. Kein Elternteil, der mit seinem Computer nicht klarkommt und Telefon-Support braucht („Hast du den Drucker-Treiber schon runtergeladen? Das WLAN geht auch nicht mehr? Aber das hatten wird doch gerade aktiviert!!”). Man wird bescheiden.
„Du kannst leichter Grenzen setzen, wenn du darauf achtest, genügend Kraft zu haben”, heißt es in meinem Buch. „Ein Weg dazu ist, dass du dir, egal, wie hektisch es ist und was gerade alles erledigt werden müsste, ab sofort zwei Stunden pro Woche für dich reservierst.” Nur, wenn du erholt bist, behältst du den Überblick, kannst sinnvolle Prioritäten setzen und andere bei Bedarf in die Schranken weisen. Am besten klappt solch eine Erholungszeit mit einem festen Termin, zum Beispiel jeden Donnerstag von 20 bis 22 Uhr. So können sich alle darauf einrichten. Eltern legen sich die Zeit so, dass ihr Kind schon im Bett ist.
Ein bisschen schlechtes Gewissen darfst du dir hier genüsslich erlauben. Gelassenheit ist der einzige Ausweg, denn die Arbeit hört nie auf. Wolltest du eigentlich noch abwaschen oder bügeln, verschiebe das und lass alles liegen. Das hat auch morgen noch Zeit, deine Erholung aber nicht. Genieße deine wöchentliche freie Zeit so, wie es dir guttut. Viele Paare wechseln sich mit der Kinderbetreuung ab, damit jeder einen freien Abend pro Woche hat. Andere bitten eine Bekannte oder Nachbarin mit Kindern um Hilfe und übernehmen dafür bei anderer Gelegenheit für sie. Auch eine Nanny ist stundenweise oft eine Option.
Vielen Menschen haben Wünsche und Forderungen an dich. Manche berechtigt, andere überzogen. Wenn du ihnen Grenzen setzt, zeigst du, dass du auch auf deine Bedürfnisse achtest und nicht jeden über dich verfügen lässt, wie es ihm gerade in den Kopf schießt. (Mehr dazu in meinem E-Book „7 Arten, dein Leben zu führen”.) Es muss Zeiten in deinem Alltag geben, in denen du niemandem Rechenschaft schuldig bist. Warte nicht nur auf den Jahresurlaub damit, sondern mach jede Woche ein bisschen Mini-Ferien. Deine Kraft wächst dadurch, deine innere Ruhe nimmt zu. Die unvermeidbaren kleinen Nervereien des Alltags werden so wieder zu dem, was sie sein sollten – eigentlich gar nicht so wichtig.