Was für eine Beziehung willst du?
Vor einiger Zeit traf ich eine ehemalige Kollegin wieder, die seit mehr als 30 Jahren in einer glücklichen Beziehung lebt. Ihr Geheimnis, neben geteilten Interessen: Beide sind in all der Zeit nie zusammengezogen, sondern haben ihre separaten Wohnungen in derselben Stadt behalten. Anfangs schien es nur praktisch, weil jeder so weiterhin schnell zu seinem nahen Arbeitsplatz kam. Bald zeigte sich auch, dass die Suche nach einer größeren Wohnung langwierig und schwierig werden würde. Schließlich aber stellte sich heraus, dass es ihnen gut tat, wie es war: Jeder hatte sein eigenes Leben, die Gemeinsamkeit war immer freiwillig.
„Für mich wäre das nichts”, denkst du jetzt vielleicht. „Ich will meinen Partner doch abends sehen, ohne immer erst einen Termin ausmachen zu müssen.” Oder umgekehrt: „Das wäre herrlich! Meine Güte, wer muss denn seinen Ehepartner unbedingt täglich sehen? Da geht doch jede Romantik flöten, und für sich selbst hat man auch nie Zeit.” Oft entstehen solche Vereinbarungen eher ungeplant, wenn etwa ein Partner aus beruflichen Gründen pendelt. Manchmal leidet ein Paar auch nach Jahren noch darunter und sucht nach jeder Chance, wieder zurückziehen zu können. Andere sind insgeheim froh über den Abstand.
Verschiedenste Lebensmodelle
Für mich sind solche Arrangements gute Beispiele, wie flexibel Beziehungen gestaltet werden können. Es gibt, auch wenn es manchmal so scheint, eigentlich keine zwingende Standardlösung. Sondern: Zwei Erwachsene können aushandeln, was für sie funktioniert – auch ungewöhnliche Varianten, wenn sie das wollen. Im Freundeskreis habe ich schon die interessantesten Lebensmodelle gesehen, und das in jedem möglichen Aspekt einer Beziehung. Absichtlich keine Kinder oder besonders viele. Getrennte oder gemeinsame Konten, bei der Bank ebenso wie auf Social Media. Gewisse erotische Freiheiten.
In „Ich mach da nicht mehr mit” (S. 115) erzähle ich von einer älteren Dame, die ich einmal im Zug kennen lernte. „Sie erzählte mir, sie sei jetzt über 80 und seit 25 Jahren verheiratet, ‘aber eine Fernbeziehung mit getrennten Wohnungen’. Nur so habe sie Zeit ‘für die wichtigen Dinge: Literatur und Lyrik’. Ihr Mann sei die wunderbare Zugabe zu alldem.” Du musst also überhaupt nicht (mehr) ganz jung oder sehr unkonventionell sein, um dir deine Beziehungen so zu gestalten, wie du sie gern hätte. Im Gegenteil: Mit zunehmender Lebenserfahrung weiß man erst, was für einen eigentlich am besten funktioniert.
Ihr könnt immer neu verhandeln
Oft fällt dir erst in einer Beziehung und nach einiger Zeit auf, dass du gewisse Dinge lieber anders hättest. Weil du dir über dich selbst klarer geworden bist, weil sich dein Partner und eure Beziehung insgesamt verändert haben. Das ist völlig normal. Hier erfordert es Mut, das offene Gespräch zu suchen: „Du, ich würde gern einmal mit dir etwas besprechen… Ich würde gern etwas anders machen als bisher.” Du kennst unsere Abgrenzregel: Nur, weil etwas schon zehn Jahre auf eine bestimmte Art gelaufen ist, muss das nicht ewig so weitergehen. Vermeide schwierige Gespräche nicht, sie nützen langfristig euch beiden.
Was für eine Beziehung willst du und hast du sie schon so, wie sie sein sollte? Es ist gut, sich diese Frage regelmäßig zu stellen, weil sich eben alles immer weiterentwickelt. Manche Paare führen ein regelmäßiges Beziehungsgespräch für sich ein, zum Beispiel monatlich einmal 45 Minuten. Je 15 Minuten spricht einer allein, 15 Minuten werten beide gemeinsam aus. Andere reden sowieso ständig oder bringen drängende Themen zur Sprache, wenn sie anliegen. In jedem Fall erfordert das Mut, Geduld und Toleranz, lohnt sich aber. Auch die beste Beziehung stresst manchmal, erlaubt euch aber, besser und stärker zu werden.