Wie sage ich Nein, wenn ich Ja sagen will?
Als eine Freundin vor zwei Jahren ihr erstes Baby bekam, ging es ab sofort nur noch um die Kleine. Ein Glucksen aus dem Bettchen, und Mama stand da und tröstete sie. Ein lauter Schrei, wenn sie sich langweilte, und Mama legte sofort alles andere beiseite und spielte mit ihr. Wenn Mama einmal telefonieren musste, war das keine zehn Minuten möglich. Die Kleine ging entschieden dazwischen. Sie war bald daran gewöhnt, durchgehend beschäftigt zu werden und immer im Mittelpunkt zu stehen. Zu Hause am Computer arbeiten? Unmöglich, wenn die Kleine wach war. Auch der Ehemann war weitgehend abgemeldet: „Bin völlig fertig, sorry!”
Das Dilemma, das diese Mutter erlebte, ist typisch für viele Beziehungen. Eigentlich wollen wir oft gar nicht Nein sagen. Wir mögen oder lieben die andere Person und wollen ihr jeden Wunsch erfüllen. Sie soll sich wohlfühlen, glücklich sein, nicht von uns enttäuscht werden. Sehr gern verbringen wir viel Zeit zusammen. Das ist nicht nur eine lästige Pflicht. Das gilt für die eigenen Kinder und Eltern, für Partner und nette Kollegen, Verwandte und Freunde. Aber natürlich ist klar: Wer ständig für alle anderen da ist, hat für sich selbst bald keine Ressourcen mehr. Zudem hat jeder mehr als nur eine Verpflichtung und auch einen Job.
Du musst nicht alle ständig glücklich machen
„Alle glücklich zu machen gehört zur Stellenbeschreibung des Weihnachtsmannes, aber nicht zu deiner”, heißt es in meinem Buch. „Grenzen zu setzen ist manchmal unangenehm, schmerzhaft oder peinlich, das sollte dich nicht abhalten.” Das oben beschriebene häufige Dilemma hat überhaupt dazu geführt, dass ich es geschrieben habe. Weil es so vielen ähnlich geht. Es ist leicht, sich von jemandem abzugrenzen, den man sowieso furchtbar findet. „Ruf mich nie wieder an”, schreibt man ohne Zögern an ein schreckliches Tinder-Date oder die nervige Bekannte aus der Grundschule. Nummer auf WhatsApp blockiert und vergessen.
Aber Nein sagen zu einem älteren Elternteil, der sich einsam fühlt und deshalb ein bisschen zu häufig anruft? Zu einem gestressten Partner, der von immer neue Problemen mit seinem Chef berichtet? Oder eben zu einem kleinen Kind, mit dem man doch selbst gern mehr spielen würde? Hier fühlt sich ein Nein wie eine echte Grausamkeit an, ein Egoismus sondergleichen. Gute Zeiten für das schlechte Gewissen! „Wie kannst du denn jetzt an Hausarbeit denken, wenn wir gemeinsam die Sesamstraße schauen wollen! Und dann etwas kuscheln, obwohl du eigentlich die Steuererklärung fertigmachen müsstest.”
Die Lösung liegt, wie so oft im Leben, im Ausgleich. Jeder kriegt ein bisschen, aber keiner hat das Recht auf alles. Deine Wünsche und Bedürfnisse sind ebenso wichtig wie die der anderen. Nur wenn du selbst stark bleibst, kannst du dir und anderen helfen. Das bedeutet: Sag Nein, um gesund zu bleiben und auch langfristig für diejenigen da sein zu können, die dir wichtig sind. Nicht jeder kann oder will das sofort verstehen. Darüber kann man später noch einmal reden. Für dich bist zu selbst verantwortlich. Wenn du spürst, dass deine Kräfte sich erschöpfen, gibst du zu viel. Auch, wenn du es aus den besten Motiven heraus tust.
Die Freundin mit dem Kleinkind hat ihre Taktik aus ganz praktischen Gründen geändert. Sie konnte es sich einfach nicht leisten, sich immer nur mit ihrem Kind zu beschäftigen. Wenn sie jetzt am Computer arbeitet, bleibt die Kleine im Laufgitter und spielt mit ihrer Puppe. Kreischt sie mal, hört ihre Mama aufmerksam hin, rennt aber nicht sofort und immer los. Ein erstes Training für Frust-Toleranz. Eine Nachbarin passt manchmal stundenweise auf, damit die Eltern auch einmal Zeit für sich haben. Ist die junge Frau deswegen eine schlechtere Mutter? Nein, ganz im Gegenteil. Jetzt ist sie eine, die auf andere und auf sich selbst achtet.